Die Programmmusik und die Sinfonische Dichtung sind für die Romantik, die gerne Dichtung und Musik verbindet, typische Gattungen. Unter Programmmusik versteht man Musik, die außermusikalische Inhalte (Program­me) mit den Mitteln der Musik darzustellen versucht. Die Inhalte können etwa aus Überschriften, Erläuterungen, Gedichten, Bildern oder Geschichten bestehen. Typische etwas bekanntere Beispiele für Programmmusik sind:

  • Bedrich Smetana (1824 – 1884) : Die Moldau
  • Modest Mussorgsky (1839 – 1881) : Bilder einer Ausstellung
  • Paul Dukas (1865 – 1935) : Der Zauberlehrling
  • Arthur Honegger (1892 – 1955) : Pacific 231

„Die Moldau“ stellt verschiedene Situationen im Verlauf des Flusses dar, „Bilder einer Austellung“ machen unterschiedliche Bilder musikalisch lebendig, „Der Zauberlehrling“ stellt das gleichnamige Gedicht von Goethe musikalisch dar und „Pacific 231“ assoziiert musikalisch verschiedene Fahrtstufen der Dampflokomotive Pacific 231.

Zwar gab es auch in früherer Musik Ansätze mit Musik etwas darzustellen, zum Beispiel Vogelgesang, Kriegslärm, Glocken. Ein bekanntes Beispiel sind die 1725 entstandenen „Vier Jahreszeiten“ von A. Vivaldi, die musikalisch Stimmungseindrücke der Jahreszeiten einzufangen versuchen. Erst in der Romantik entstehen allerdings die für die Gattung typischen Werke, die die Beziehung von dichterischem Inhalt und Musik leicht nachvollziehbar erkennen lassen.

Die Sinfonische Dichtung führt den Gedanken der Programmsinfonie, die einzelnen Sätze an dichterischen Inhalten auszurichten, weiter. Als Beispiele hierfür gelten etwa die 1808 entstandene 6. Sinfonie von L. van Beethoven, die „Sinfonia pastorale“ oder die von H. Berlioz komponierte „Symphonie fantastique“ aus dem Jahr 1830. Als Programm der Sinfonischen Dichtung dienen Themen der Literatur oder Malerei, Begebenhei­ten, Gestalten oder Ideen der abendlän­dischen Geistesgeschichte, Land­schaftseindrücke oder persönliche Er­fahrungen des Komponisten. Zwei der wichtigsten Komponisten von Sinfonischen Dichtungen sind Franz Liszt und Richard Strauss, dessen „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ (1895), „Don Quixote“ (1898) oder „Eine Alpensinfonie“ (1915) sehr anschauliche Beispiele dieser Gattung darstellen.

Formal kann eine Sinfonische Dichtung aus einem längeren Satz bestehen, aber auch die sinfonischen Formen Sonatenhauptsatz, Rondo oder Variation werden als formale Grundlage verwendet.

Bevor wir nun an 2 Werken aufzeigen, wie die Musik die dichterische Vorlage umsetzt, wollen wir die musikalischen Möglichkeiten zur  Darstellung eines programmatischen Inhalts beschreiben:

1. Musik kann Bewegungsverläufe nachzeichnen:

  • die Richtung durch entsprechende Melodieführung (dem Treppen hinunter fließenden Wasser entspricht eine treppenförmig absteigende Melodie),
  • ein Tempo durch entsprechendes musikalisches Tempo wiedergeben (einem langsam dahinfahrenden Fahrzeug entspricht musikalisch ein langsames Tempo),
  • einen Bewegungsrhythmus durch entsprechenden Musikrhythmus darstellen (marschierenden Menschen entspricht eine marschartige Rhythmik).

2. Musik kann durch instrumental erzeugte Geräuscheffekte bestimmte akustische Erscheinun­gen nachahmen (Donnergrollen wird durch Paukenwirbel und Cluster von tiefen Streichern immitiert oder tosenden Stromschnellen entspricht laute Dynamik, dissonante Harmonik und ein Stimmengewirr).

3. Musik kann Stimmungen und Wirkungen erzeugen bzw. nachahmen ( ein gemütliches Beieinandersein wird durch einen ruhigen Melodieverlauf, eine ruhige Rhythmik und einer weichen Klangfarbe ausgedrückt oder Hektik wird durch eine zerrissene Rhythmik und starken Melodiebewegungen dargestellt).

4. Musik kann durch die Verwendung ganz bestimmter Musikgattungen, Musikstile oder auch In­strumente im Hörer bestimmte Assoziationen (Vorstellungen, Situationsbilder) erzeugen (Jagdsignale blasende Hörner rufen die Vorstellung einer Waldjagd hervor) oder einem Traum entspricht eine geringe Dynamik, ein dünner schwebender Klang und  eine unbewegliche Rhythmik).

Wir wollen nun am Beispiel „Die Moldau“ von Bedrich Smetana hören und erkennen, wie Programmmusik „funktioniert“. Das Programm teilt uns Smetana selbst mit:

„Diese Komposition schildert den Lauf der Moldau. Sie belauscht ihre ersten zwei Quellen, die warme und die kalte Moldau, verfolgt dann die Vereinigung beider Bäche und den Lauf des Moldaustromes über die weiten Wiesen und Haine, durch Gegenden, wo die Bewohner gerade fröhliche Feste feiern. Im silbernen Mondlicht führen Wassernymphen ihre Reigen auf, stolze Burgen, Schlösser und ehrwürdige Ruinen, mit den wilden Felsen verwachsen, ziehen vorbei. Die Moldau schäumt und wirbelt in den Stromschnellen zu St. Johanni, strömt in breitem Flusse weiter Prag zu, die Burg Vysehrad taucht an ihren Ufern auf. Die Moldau strebt majestätisch weiter, entschwindet den Blicken und ergießt sich schließlich in die Elbe.“

Wir teilen nun den Inhalt in die aufeinanderfolgenden Szenen und beschreiben, wie die Musik diese Inhalte darstellt und welchen Bezug sie zur Szene hat.

Die Quellen der Moldau (Takte 1-39)

Die Melodie verläuft wellenförmig in einer Fließbewegung, die Querflöte beginnt und die Klarinette kommt hinzu (die Quellen vereinigen sich), nun kommen die Streicher dazu (die Quellen werden zum Fluss), wir haben eine eher dünne, zarte Instrumentation, die Dynamik ist leise, Tonart ist E-Moll. Die Musik stellt die Fließbewegung des Wassers dar und assoziiert die Vereinigung der Quellen zum Fluss.

Hörbeispiel (Die Quellen)

 

 

 

 

Moldauthema (Takte 40-80)

Wir hören eine eingängige, volksliedhafte Melodik, die Instrumentation ist klangvoll ohne Schärfen, Die Rhythmik ist ruhig, gleichmäßig, Tonart weiterhin E-Moll. Die Musik ruft die Assoziation eines ausgeglichenen Bewegungszustandes des Flusses hervor.

Hörbeispiel (Moldauthema ab Takt 40))

 

 

 

 

Waldjagd (80-121)

Die Hörner spielen Jagdrufe, die Melodik ist entsprechend sprunghaft, der Rhythmus entspricht einer galoppartigen Bewegung, wir hören eine kraftvolle Instrumentation und laute Dynamik. Die Hörner assoziieren Wald und Jagd, der Rhythmus entspricht der Galoppbewegung der Pferde.

Hörbeispiel (Waldjagd)

 

 

 

 

 Bauernhochzeit (Takte 122-176)

 Wir hören den Tanzrhytmus einer Polka, die Stimmung ist heiter, die Melodik ist volkstümlich, Tonart ein freundliches G-Dur, die Instrumentation besteht aus Holzbläsern und Streichern. Der Tanzrhythmus ruft sofort das Bild der Tanzbewegung auf einer Hochzeit hervor, die Polka assoziiert einen bäuerlichen Tanz, die Stimmung ist fröhlich, die Instrumentation entspricht einer einfachen Tanzgruppe.

Hörbeispiel (Bauernhochzeit)

 

 

 

 

Mondschein und Nymphenreigen (Takte 177-238)

Wir hören einen zarten, hohen Streicherklang, insbesondere die zarte Harfe, die Melodik ist lyrisch, fast unbeweglich, nur sehr leicht auf und ab gehend, die Stimmung ist romantisch, das Tempo sehr langsam, die Dynamik leise, die Rhythmik in langen Notenwerten sehr gedehnt. Im Hintergrund sind sehr leise plätschernde, quirrlige Querflöten zu hören, Tonart As-Dur. Die Musik vermittelt bei diesem Bild die entsprechende Stimmung.

Hörbeispiel (Mondschein)

 

 

 

 

Moldauthema (Takte 239-271)

Das Thema wird nun kräftiger instrumentiert, die Lautstärke ist erhöht, das Tempo ist etwas schneller, weiterhin Tonart E-Moll. Die Musik ruft die Assoziation eines kraftvoller, mit mehr Wasser fließenden Flusse hervor.

Hörbeispiel (Moldauthema ab Takt 239)

 

 

 

 

St. Johann-Stromschnellen (Takte 271-332)

Wir hören ein wildes Getöse, der Klang ist geräuschvoll und dissonant, es spielt das ganze Orchester (tutti), besonders die Blechbläser und die wirbelnden Pauken sind im Vordergrund, Die Piccoloflöte spielt schrille, kurze Motive, die Beckenschläge zischen, die Melodielinien laufen wild durcheinander, die hektische und unregelmäßige Rhythmik trägt zum Gesamteindruck bei, die Dynamik ist sehr laut. Die Musik ahmt das donnernde Getöse der Stromschnellen nach, die Becken lassen die Wassermassen zischen, die Pauken assoziieren die Wasserwirbel und die Piccoloflöte lässt das Wasser spritzen. Eine bedrohliche Stimmung entspricht den gefährlichen Stromschnellen.

Hörbeispiel (Stromschnellen)

 

 

 

 

Die Moldau strömt breit dahin (Takte 333-427)

 Wir hören nun das Thema in einer sehr kraftvollen Instrumentation, gespielt vom ganzen Orchester, die Dynamik ist laut, das Tempo ist nochmals etwas gesteigert, die Tonart wechselt nach E-Dur. Die Musik assoziiert einen majestätisch, breit und kraftvoll dahinfließenden Fluss, man kann durchaus den Stolz auf die Heimat das Komponisten erahnen.

Hörbeispiel (Moldauthema ab Takt 333)

 

 

 

 

Die Moldau entschwindet den Blicken (Takte 428-Schluss)

Die Musik wird immer leiser (decrescendo) und assoziiert das Entschwinden.

Hörbeispiel (... entschwindet den Blicken)

 

 

 

 

 

Wir wollen nun am Beispiel eines Ausschnittes aus „Till Eulenspiegels lustige Streiche, op.28“ von Richard Strauss hören, wie eine Sinfonische Dichtung musikalisch gestaltet ist. Als Programm dienen einige Episoden aus dem Leben Till Eulenspiegels. Das Werk besteht aus einem Satz und dauert ca. 15 Minuten. Wir greifen eine Episode heraus:

Till reitet durch die Stände der Marktweiber

„Es ist Morgen. Auf dem Platz in der Mitte der klei­nen Stadt haben die Marktweiber ihre Stände auf­gebaut. Irdene Töpfe und Teller sind fein säuber­lich aufgestellt. In kleinen hölzernen Verschlägen tummeln sich allerleiTiere: Schafe, Ziegen, Hühner, Enten. Man hofft auf einen guten Verkauf. Till nähert sich vorsichtig dem Platz. Er führt wieder eine Narre­tei im Schilde. Vielleicht hat er eins Wette abge­schlossen, wie einst mit dem Bischof. Möglicher­weise hat er wegen irgendeiner Sache Zorn auf die Marktweiber, die ja flink mit der Zunge sind. Plötz­lich gibt Till seinem Pferd die Sporen. Im wilden Galopp rast er mitten durch die Stände hindurch. Die Tische werden umgeworfen. Das Geschirr bricht in tausend Stücke. Verschreckt stieben die Tiere nach allen Seiten davon. Die Obstkörbe stürzen um. Es herrscht ein heilloses Durcheinander. Lähmen­des Entsetzen. Nach der Schrecksekunde hebt das Gezeter der Marktweiber an. Aufgeregt gackern die Hühner. Till aber ist längst über alle Berge. Noch einmal schaut er sich um. Lachend reitet er davon."

Wir teilen die Episode nun in einzelne Momente und können hören und erkennen, wie der Komponist diese Szene sehr detailliert musikalisch gestaltet.

 

Es ist Morgen, alles ist ruhig und geordnet (0 - 21 sec.)

Die Harmonik ist konsonant, der Klang weich und sanft, die Tonart in Dur, die Artikulation legato. So wird eine entsprechend ruhige, morgendliche Stimmung assoziiert. Eine ruhige Rhythmik, eine mittlere Dynamik, eine überschaubare musikalische Struktur und eine eher weiche Melodielinie assoziieren die Ruhe vor dem Angriff.

Vorsichtiges Nähern (21 - 27 sec.)

Eine Rhythmik mit kurzen, regelmäßigen Impulsen, kurze melodische 2-Ton-Motive, eine leise Dynamik, eine Spielweise im staccato und pizzikato und die aufwärts führende Melodik assoziieren die heranschleichende Bewegung.

Till hat eine Narretei im Kopf (27 - 41 sec.)

Wir hören mehrmals das Till-Motiv, das der Komponist für Till verwendet. Es zeichnet sich durch eine sprunghafte Melodik und eine freche Wirkung aus. Die Dynamik macht ein Crescendo und der Klang nimmt an Intensität zu.

Gleich passiert etwas (41 – 1:14)

Die Spielweise der Streicher im tremollo lassen Spannung aufkommen, die Dynamik ist zunächst sehr leise, macht dann ein Crescendo. Die Melodik verwendet 2-Ton-Motive, zunächst von den Kontrabässen, dann von der Klarinette gespielt, die Rhythmik deutet schon den bevorstehenden Galopp an.

Plötzlich gibt er dem Pferd die Sporen (1:15)

Ein plötzlicher Beckenschlag und ein plötzlicher Dynamikwechsel ins Fortissimo machen die veränderte Situation deutlich.

Wilder Galopp - Heilloses Durcheinander - Das Geschirr bricht, lärmendes Entsetzen (1:16 – 1:36)

Die Rhythmik mit 2 kurzen durch Pausen unterbrochenen Impulsen assoziiert die Bewegung eines Galopps, entsprechend hören wir melodische 2-Ton-Motive.

Das Heilloses Durcheinander wird durch ein Stimmengewirr assoziiert. Die Melodik verläuft im Zick-Zack durcheinander.

Ein geräuschhafter Klang, eine dissonante Harmonik, die Verwendung einer Rätsche in der Instrumentation, eine Dynamik im Fortissimo und heftige rhythmische Akzente setzende Pauken lassen uns das zerbrechende Geschirr und die lärmenden Geräusche der Situation hören.

Schrecksekunde (1:37)

Pause, Stille

Gezeter der Marktweiber – Gackern der Hühner - Till ist längest über alle Berge - Till schaut sich nochmals lachend um (1:38 – 2:07)

Kurz nach der Stille hören wir von der Klarinette gespielte kurze, bewegte melodische Motive auf und ab. Das Gezeter beginnt.

Wir hören fast realistisch das Gackern der Hühner. Der Rhythmus ahmt den Gackerrhythmus nach, die Melodie durch Sprungmotive den Tonfall des Gackerns, die Harmonik den Klang des Gackerns durch schrille, dissonante Sekunden.

Till reitet davon. Melodisch hören wir immer höher steigende Tonleitern. Dazwischen ruft Till leise aus der Ferne. Wir hören melodisch ein von den Hörnern gespieltes Signalmotiv, die konsonante Harmonik lässt die Szene friedlich, entspannt enden.

Wir verfolgen nun den Ablauf dieser „Marktweiberszene“ und versuchen zu hören, wie der Komponist überwiegend assoziativ, aber auch durch Nachahmung von Geräuschen (Geschirr bricht) und Bewegung (Galoppieren) die Szenen lebendig werden lässt.

Um die einzelnen Szenen im Hörbeispiel besser verfolgen zu können, ist in den Szenenüberschriften in Klammer die Dauer des jeweiligen Abschnitts angegeben.

Hörbeispiel (Till Eulenspiegel: Marktweiberszene)

 

 

 

 

 

Den gesamten inhaltlichen Ablauf der Sinfonischen Dichtung „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ können wir auf dieser PDF-Datei einsehen.

  Till Eulenspiegel - Programmablauf

Das ganze Stück „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ können wir uns auf YouTube anhören. Ebenso gibt es auf YouTube von der „Moldau“ Beispiele, teilweise auch als Video.